Geschichte
Des Friedhof liegt nämlich von der zweitältesten Prager Stadt – der Kleinseite, deren Namen er trägt, ziemlich entfernt im Stadtviertel Praha 5 – in Smíchov. Er ist samt dem anliegenden Spital bereits um 1680, in der Zeit einer großen Pestepidemie, entstanden, möglichst weit von den bewohnten Stadtteilen. Neben dem Pestspital entstand auch die erste kleine Kapelle, Mariä Himmelfahrt geweiht; später wurde hier die Kapelle des Pestheiligen St.-Rochus errichtet.
Der Friedhof samt dem Pestspital hat auch während der nächsten Pestepidemie, 1713–14, Verwendung gefunden. Ungefähr zu dieser Zeit entstand hier eine weitere Heiligenstätte, der Heiligen Dreifaltigkeit gewidmet, vermutlich nach dem Projekt von Kilian Ignaz Dientzenhofer. Diese Lage hat sich erst unter Josef II., Sohn der Maria Theresia, geändert. Er hat in seinem Reich die Bestattung in den Kirchen und inmitten der Städte grundsätzlich verboten. Deswegen kamen auch die alten Pestfriedhöfe erneut zur Geltung und es wurden neue Friedhöfe „auf der grünen Wiese“ errichtet. Im Jahr 1786 wurde der Kleinseitner Friedhof als Hauptbegräbnisstätte für die linksuferigen Teile Prags: Kleinseite, Hradschin, Smíchov und Košíře, feierlich geweiht.
In der damaligen Zeit lag dieses Gebiet außerhalb der Stadt – in seiner Nähe befanden sich lediglich Felder, Weinberge und etliche Weingüter, wie z. B. die berühmte Bertramka oder Klamovka. Die Vorstadt Smíchov, wo gleich mehrere bedeutende Industriebetriebe (Porghes-Textilfabrik, Waggonfabrik der Familie Ringhoffer) entstanden sind, erlebte eine stürmische wirtschaftliche Entwicklung. Auf Grunde der jähen Zunahme der Bevölkerung erwies sich die Friedhofsfläche nach 1850 als unzureichend und daher wurde im Jahre 1862 x ein neuer Teil des Friedhofs errichtet. Doch die Vorstadt wuchs weiter und bald standen neue Häuser dicht am Friedhof. Deswegen wurde der Friedhof ab 1885 definitiv geschlossen. Seine Funktion hat der neue Friedhof Malvazinky.
Doch die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung der Stadt schritt weiter voran, und um 1910 wurde die Existenz des Friedhofs wieder in Frage gestellt. Nach dem neuen Regulierungsplan von 1910 sollte er liquidiert und seine Fläche bebaut werden. Nach der Bekanntgabe dieses Plans erhob sich jedoch eine große Protestwelle. An die Spitze der Kämpfer für die Erhaltung des Friedhofs stellten sich die Mitglieder des damals neu gegründeten Klubs für das Alte Prag und wichtige Persönlichkeiten der tschechischen Kultur, wie z. B. der berühmte Journalist und Schriftsteller Jakub Arbes, in den Dienst der Sache. Um die Rettung des Friedhofs hat sich das sog. „Ostern-Memorandum“ aus dem Jahre 1916 verdient gemacht, dessen Urheber z. B. die Schriftsteller historischer Romane Alois Jirásek oder Maler Max Švabinský waren.
Nach dem I. Weltkrieg musste die hochfrequentierte Straße Plzeňská erweitert werden. Die Gräber an der Nordseite des Friedhofs wurden aufgelöst, die Toten teilweise exhumiert oder auf eine andere Stelle des Friedhofs übertragen. Vor und im II. Weltkrieg galt der Friedhof als ein Symbol der tschechischen Kultur im 19. Jahrhundert, und es wurden ihm daher mehrere Publikationen gewidmet. Nach dem Krieg entstand erneut die Frage der Existenz – oder Nichtexistenz des Kleinseitner Friedhofs, doch dank der Bemühungen von vielen Gutgesinnten blieb er uns als „Friedhof der Nationalen Wiedergeburt“ erhalten und wurde sogar unter den Denkmalschutz gestellt. Zur nächsten Erweiterung der Plzeňská-Straße kam es in den Jahren 1951–1953. Die Toten im Nordteil des Friedhofs wurden ebenfalls exhumiert. Hhistorisch – oder kunsthistorisch wertvolle Denkmäler wurden an den Hauptweg in die Nähe des Denkmals von Leopold Leonhard Thun-Hohenstein übertragen.
Im Mozartjahr 1956 hat man nach dem Grab der Prager Mozartfreunde Franz Xaver und Josefine Duschek gesucht – an der Südseite des Friedhofs hat man ihnen ein neues Denkmal errichtet.
Abgesehen davon kam es in den 50er Jahren zu vielen Verwüstungen, und deswegen mußt der Friedhof für die Öffentlichkeit geschlossen werden.
Zwecks Rettung und Wiederöffnung des Friedhofs für die Öffentlichkeit wurde im Jahre 2011 die Vereinigung zur Rettung des Kleinseitner Friedhofs gegründet. Sie hat zum Glück großes Verständnis bei der Verwaltung der Prager Friedhöfe gefunden. Mit großem Arbeitseinsatz wurde der störende Bewuchs der Grabmäler beseitigt, die Flächen gereinigt und kranke und für den Besuchern gefährliche Bäume wurden gefällt. Wir sind, dank der Verwaltung der Prager Friedhöfe, heute schon so weit, dass wir gemeinsam den Friedhof für die Öffentlichkeit teilweise zugänglich machen können, und zwar nicht nur anlässlich verschiedener Feste (Maifeier, Allerheiligen), sondern auch im Rahmen der regelmäßig abgehaltenen Besuche unter der Aufsicht der Mitglieder der Vereinigung.
DIE BEDEUTUNG DES FRIEDHOFS Der Kleinseitner Friedhof ist nicht nur für Prag, sondern auch für die ganze Tschechische Republik von großer Bedeutung. Man kann sogar hinzufügen, dass er in Mitteleuropa kaum seinesgleichen finden kann: er stellt eine Freilichtgalerie der bedeutenden Bildhauerwerke vom Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts dar. Seine Besonderheit ist, daß viele Grabmäler signiert sind (von mehreren Generationen der Bildhauerfamilie Platzer, von Josef Malínský, Josef und Emmanuel Max, Václav Práchner, F. Linn, F. Pischelt, J. L. Kranner)
• auf dem Friedhof sind bedeutende Protagonisten jener Periode, die bei uns „National-aufklärung“ genannt wird, begraben: die Schriftsteller Gustav Pfleger Moravský, der dramatische Dichter J. Tandler, der Chorherr V. M. Pešina z Čechorodu, der sich um die bauliche Beendung des St.-Veits-Doms verdient gemacht hatte, der Politiker von 1848 A. M. Pinkas
• hier ruht eine ganze Reihe bedeutender Architekten, die das Antlitz Prags des 18. und 19. Jahrhunderts geprägt haben (die Architektenfamilie Dientzenhofer, J. Zobel, A. I. Palliardi, J. Jäger), und Maler (A. und V. Mánes, der berühmte Autor von Bildern des alten Prag Vinzenz Morstadt)
• auf dem Friedhof liegt eine ganze Reihe von Prager Freunden und Bewunderern Mozarts (das Ehepaar Duschek, V. Mašek, J. B. Kuchař, V. J. Tomášek, J. N. A. Vitásek, V. Stich-Punto). Zusammen mit der nahegelegenen Bertramka kann daher der Friedhof zu den Prager Mozartdenkmälern gezählt werden
• auf dem Friedhof haben viele bedeutende Wissenschaftler, Pädagogen und sowie fünf Rektoren der Karlsuniversität ihre letzte Ruhestätte gefunden
Die bunte Palette der Begrabenen reicht von Bettlern und Idioten von der Hradschiner Irrenanstalt bis zu Kleinseitner Patrizierfamilien, zu Angehörigen zahlreicher Kirchenorden und Mitgliedern adeliger Familien und Gründern der ersten Industriebetriebe in Prags. Sie gibt uns eine gute Vorstellung über die soziale Zusammensetzung der linksufereigen Teile Prags.
Der Friedhof stellt noch darüber hinaus eine bedeutende Ruhe-Oase dar,die zwischen zwei hochfrequentierten Verkehrsadern (Plzeňská třída, Vrchlického třída) gelegen ist.
Dipl.-Ing. Gabriela Kalinová, Vorstandsmitglied der Vereinigung